Was passiert, wenn zwei Personen unabhängig voneinander zusammen eine Geschichte erzählen und sich jeweils an die von der anderen Person vorgegebenen Begriffe halten müssen? Wir haben das Experiment gewagt. Wir sagen nur: Es ist interessant und natürlich kommt es ganz anders als gedacht.

Manuela macht den Start mit fünf Begriffen, die sie von Benedikt erhält: Schiff, Peter, Sommerferien, Depression, Kommode

Juhu, endlich Sommerferien! Peter jubelt und führt innerlich einen Freudentanz auf. Die Ferien hat er sich verdient. Peter ist Geschäftsführer einer kleinen Schreinerei. Die letzten paar Monate waren hart. Das Geschäft läuft nicht, wie es sollte. Ein langjähriger Mitarbeiter, der für das Geschäft eine tragende Rolle einnahm, reichte seine Kündigung ein. Damit hatte Peter überhaupt nicht gerechnet, er verstand die Welt nicht mehr. Einen geeigneten Nachfolger zu finden, würde schwierig werden. Auch zuhause läuft es alles andere als rosig: Der 15-jährige Teenagersohn Joel benimmt sich völlig daneben, nimmt Drogen und beteiligt sich null am Familienleben, seine 9-jährige Schwester Aline wird in der Schule gemobbt und zeigt schon in ihrem zarten Alter Anzeichen einer Depression. Und dann gibt es noch Marianne, Peters Frau, die vor lauter Sorge um die Kinder allmählich selbst verrückt wird.

Peter hat beschlossen, sich von all dem nicht runterziehen zu lassen. Er freut sich darauf, ein paar ruhige Tage auf seinem Boot am Zürisee zu verbringen. Joel und Aline zicken herum. Sie wollen nicht mitkommen. «War ja sowieso klar», denkt sich Peter und zuckt mit den Schultern. Sollen sie eben zuhause bleiben, ihm ist das egal. Er geht kurz rüber zu Oma Erna, die gleich nebenan wohnt. Sie soll die Kinder hüten, während er und Marianne sich ein paar Tage Ruhe gönnen. Doch als er klingelt, öffnet niemand. Also geht Peter selbst rein, er hat ja einen Schlüssel. Drinnen herrscht das reinste Chaos: Schmutzige Kleider liegen quer über den Boden verteilt, die Schubladen der alten, braunen Kommode im Flur stehen weit offen und das Sofa ist voller Flecken. «Untypisch», murmelt Peter, «normalerweise ist Oma Erna doch immer so ordentlich…». Er läuft weiter durchs Haus. Keine Spur von Oma Erna. Peter entdeckt einen dunkelroten Fleck auf dem Küchenboden und erschrickt.

Fünf Begriffe von Manuela für Benedikt: Küchenschürze, Messer, Oma Erna, Ehering, Sonnenschirm

Vorsichtig taucht Peter seinen Zeigefinger in den roten Fleck und schnuppert daran: Himbeerkonfitüre! Aber wo ist Oma Erna? Immerhin scheint sie noch am Leben zu sein. Die Spur der roten Flecken führt in den Garten. Und da steht Oma – ausgerüstet mit Küchenschürze und Messer. «Einbrecher, Einbrecher», ruft Erna und fuchtelt wild herum. «Alles durcheinander und der Ehering ist auch weg! Ich war gerade am Konfitüre machen, als ich im Flur Schritte hörte. Dann bin ich ins Wohnzimmer gerannt und vor dort aus in den Garten. Ist der Einbrecher noch da?» Peter schüttelt den Kopf. «Also ich hab niemanden gesehen.»

Als sich Oma Erna beruhigt und sich unter dem Sonnenschirm entspannt, ruft er die Polizei. Anschliessend geht er nach Hause und erzählt der Familie die unglaubliche Geschichte. Aber wo ist eigentlich Joel?

Fünf Begriffe von Manuela für Benedikt: Trödelladen, Flugticket, Insel, Fonduegabel, Axt

Marianne und Aline haben nicht gemerkt, dass Joel sich aus dem Staub gemacht hat. «Bleibt denn alles immer an mir hängen?», ärgert sich Peter. Dabei gäbe es noch so viel zu tun, bevor sie morgen in die Ferien fahren: Koffer packen, den Rasen mähen, das Auto waschen… «Na warte, wenn ich diese Rotznase erwische!», murmelt Peter griesgrämig vor sich hin und macht sich auf die Suche. Auf dem Schulhof, wo die coolen Kids abends manchmal abhängen, ist Joel nicht. Im Park auch nicht. Und auch nicht am Bahnhof. Peter macht sich langsam Sorgen.

Auf dem Weg in die Altstadt trifft er Tante Frieda an. «Hast du zufälligerweise irgendwo Joel gesehen?», fragt er sie – wohlwissend, dass das nicht der Fall sein wird. Doch er hat Glück. «Er ist mir vorhin tatsächlich über den Weg gelaufen. Ich glaube, er ist da vorne im kleinen Trödelladen», antwortet Tante Frieda. Also macht sich Peter auf den Weg. Und tatsächlich: In dem kleinen, etwas in die Jahre gekommenen, aber sehr charmanten Trödelladen an der Strassenecke findet er endlich seinen Sohn. Peter kann nicht anders als zu lächeln. «Da geht die kleine Rotznase tatsächlich in den gleichen Trödelladen wie ich früher immer», denkt er liebevoll.

Joel ist nicht sonderlich erfreut, seinen Vater zu sehen. «Nirgends hab ich meine Ruhe», mault er und legt die goldene Fonduegabel weg, die er gerade betrachtet hat. «Ich will nicht mit euch aufs Boot. Ich will mal coole Ferien machen. So auf einer tropischen Insel oder so!» Peter schüttelt den Kopf. «Du weisst ganz genau, dass das nicht geht. Dafür reicht das Geld nicht. Hast du eigentlich eine Ahnung, wie teuer die Flugtickets sind? Nein, natürlich nicht. Mach dich lieber mal nützlich, bevor du solche Sachen verlangst. Hier, schau mal. Wir kaufen dir eine Axt, damit du mir zuhause im Garten helfen kannst. Und jetzt ab nach Hause, aber dalli!», ruft Peter wütend. Als sie zuhause ankommen, läuft Marianne völlig hysterisch im Garten herum.

Fünf Begriffe von Manuela für Benedikt: Zürisee, Ukulele, Sonnencreme, Krimi, Hummus

Aber nicht, weil Joel irgendetwas mit der Axt angestellt hätte. Der 15-jährige Sohnemann ist schon wieder weg. Marianne versucht, ihn anzurufen. Vergebens. Auch auf Whatsapp-Nachrichten reagiert Joel nicht. Wo ist er nur? «Vielleicht am Zürisee», sagt Aline. «Bei deinem Boot, Papi. Dort geht er manchmal alleine hin. Das weiss ich.» Peter schaut seine Tochter ungläubig an. «Aber er hat doch gesagt, dass er nicht mit uns aufs Boot will.» «Ja, nicht mit uns. Aber alleine eben schon. Er hat mir erzählt, dass er auf dem Boot manchmal Ukulele spielt.» Die ganze Familie steigt ins Auto und macht sich auf den Weg zum Bootsanlegesteg am Zürisee. Als Peter, Marianne und Aline dort ankommen, ist alles wie gewohnt. Aber von Joel weit und breit keine Spur.

«Bling!» Aufgeregt schaut Marianne auf ihr Smartphone. Joel hat ein Bild von sich geschickt. «Liebe Grüsse aus Mallorca», steht unter dem Foto, das Joel mit Hummus auf dem Teller und mit einem Sonnencrème verschmierten Gesicht zeigt. Marianne ist schockiert. Weiss aber nicht, ob sie nun weinen oder lachen soll. «Wie hat er das nun schon wieder geschafft», fragt sie in die Runde. Peter überlegt und Aline sagt: «Das ist ja wie in einem Krimi!» Plötzlich sagt Peter: «Der Ehering von Oma Erna!» Marianne ist ratlos. «Was ist mit diesem Ring?» Peter erklärt: «Sie hat ja gesagt, dass er gestohlen wurde. Und jetzt weiss ich auch, was Joel im Trödelladen gemacht hat. Joel hat den Ehering von Oma Erna verkauft und sich damit ein Flugticket nach Mallorca besorgt.» Beim ganzen Ärger mit Joel: Die Eltern sind froh, dass es ihrem Sohn gutgeht. Und zum Glück kommt er in zwei Tagen wieder zurück. Wie schnell die Kinder erwachsen werden, denkt Peter. Aber den Ehering von Oma Erna muss Joel wieder zurückkaufen.

Schöne Sommerferien wünschen euch: Manuela & Benedikt

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